Presse
Über mich & meine Kunst

Klaus Wittkamp - Unterwegs

Bilder von Jürgen Schmitz

Natur ist nichts anderes als Natur, und Kunst ist nichts anderes als Kunst. Ebenso wie die Natur folgt die Kunst allein ihrem eigenen Gesetz. Die Natur ist das Unvertraute, Fremde; sie ist der Blick in das Dunkel des Weltalls und der Blick in die Unermeßlichkeit des Raumes in uns selbst. Die Kunst gibt uns die Möglichkeit, in dieser Dunkelheit Bilder zu erzeugen, Bilder, in denen wir die Welt und damit auch uns selbst vergegenwärtigen können.
Die Schnittstelle zwischen Natur und Kunst ist die Landschaft, Wolkenformationen und Flußtäler also, Sonnenuntergänge und Stadtansichten – immer wieder Himmel und Erde und eine Horizontlinie dazwischen. Landschaft ist immer ein Ausschnitt aus dem Ganzen der Natur. Landschaft ist entworfen, geformt, künstlich geordnet. Landschaft ist beobachtete, beschriebene Natur, Raum, den wir bewohnbar machen.
Wir orientieren uns, indem wir Landkarten anlegen und Landschaftsbilder entwerfen, indem wir Wege und Grenzlinien ziehen, wo einstmals nur Himmel und Erde bestanden. Wir strukturieren die endlose Weite durch ein Gefüge aus Straßen und Zäunen, Brücken und Häusern, Dörfern und Städten. So wird aus einer fremden Landschaft eine vertraute Region, ein übersichtlicher Landstrich, eine Gegend, ein Ort, mein Ort. Auf diese Weise richten wir uns ein in der Welt und machen uns ein Bild von ihr. Dieses Bild prägt sich ein, erweitert sich ständig, und wir tragen es in uns für den Rest unseres Lebens. Indem wir Landschaften anlegen, erfahren wir uns selbst, denn Landschaften sind vor allem eines: Ausdruck eines verinnerlichten Sehens. Landschaften sind Sehnsuchtsorte, Räume, in die wir unsere Empfindungen für ein Zuhause projizieren, Orte, an denen eine Hoffnung eingelöst werden soll.

An den Bildern von Jürgen Schmitz läßt sich ermessen, um welche Herausforderungen es in der Landschaftsmalerei gehen kann. Wenn er seine Motive wählt, begibt er sich nicht auf das erlesene, unkomplizierte Gelände saftiger Wiesen und heroischer Sonnenuntergänge. Stattdessen malt er das eigentlich Unmalbare, gewissermaßen motivlose Bilder, die mehr sein wollen als virtuos gemalte Abbilder: eine beliebige Wasseroberfläche, einen menschenleeren Waldweg, den regennassen Asphalt einer Landstraße, die ins Nirgendwo führt.
Erstes Bild: Die beliebig gewählte Wasseroberfläche gehört zu einem Fluß. Morgendunst liegt über dem Land, Bäume und Wiesen am Ufer sind nur schemenhaft zu erkennen. Über dem Wasser schwimmt eine mächtige Verladeplattform, auf der, sobald der Arbeitstag anbrechen wird, Transportschiffe ihre Ladung löschen werden. Noch aber ist es still, kein Mensch, kein Geräusch weit und breit. Schwarz spiegeln sich die harten Konturen von Scheinwerfertürmen, Pflöcken, Planken im Wasser. Erst der Bildtitel verrät, daß hier der Niederrhein bei Emmerich zu sehen ist. Erhabene Landschaft steht gegen das spröde Motiv aus Lastkränen und Teergeruch.
Zweites Bild: Ein menschenleerer Waldweg, der keine Auskunft gibt über den Ort, an dem das Bild entstand. Zu sehen sind schwarz und braun verschattete Baumstämme in diesigem Herbstlicht. Herabgefallenes Laub bedeckt feuchten Waldboden und einen Weg, der nichts weiter ist als ein Weg, der zwischen Bäumen entlangführt, irgendwohin. Auch hier der ungemein aufwendige Malprozeß gegen den kargen, belanglos wirkenden Grund des Bildmotivs.
Drittes Bild: Auf den Asphalt einer Landstraße fällt erstes Morgenlicht. Am Wegrand Wiesen und Äcker, ferne Dörfer, Verkehrsschilder, eine laublose Baumallee, die zu einem Horizont führt, hinter dem es nichts anderes geben wird als Asphalt, Begrenzungslinien und laublose Bäume. Ein weiteres malerisch brilliant gesetztes Zeichen gegen den Blick auf ein selbstgeschaffenes Nichts.
Malen kann man alles, so zeigen diese drei Bildbeispiele; nicht alles aber ist zugleich auch darstellbar. Malen kann man die sichtbare Welt ebenso wie die unsichtbare, Gesichter und Bäume also, glückliche Tage und eingeschriebene Ängste. Malerei bedarf keines Grundes, keiner Rechtfertigung, keines Nachweises der Übersetzung von Empfindung in bedeutsame Form. Malen kann jeder, und abbilden läßt sich alles, was in der äußeren Welt und mit dem inneren Auge sichtbar werden kann.
Eine Darstellung hingegen entzieht sich diesem grundlosen Aufgehen in eine vorgefundene Welt. Darstellung widerspiegelt die Auseinandersetzung mit dem Unaussprechbaren; sie ist nicht Ergebnis einer Abbildung, sondern Grundform eines Bildes, das einen unanschaulichen Tatbestand in seine ausgesprochenen Formen integriert. Ein Maler also ist noch lange kein Darsteller, und ein Kunstwerk, das aufgrund seiner bedeutsamen Form diesen Namen verdient, wird erst erkennbar an seiner Bruchlinie hin zum bildlosen Raum.
In den Bildern von Jürgen Schmitz trifft ausgeprägt wirklichkeitsgetreue Naturdarstellung auf unscheinbare, geradezu gegenstandsferne Motive. Wenn er ein Waldstück malt oder eine Schneelandschaft mit Äckern und Reifenspuren, so malt er sie mit akribischer Detailtreue. Da gibt es keinen flirrend- impressionistischen Gestus, keine expressiven Verwischungen, keine romantisierende Stimmungsmache.

Jürgen Schmitz ist ein Beobachter, der seine Umgebung so wiedergibt, wie er sie sieht. Auch wenn es atemberaubende Szenarien sind, die er entwirft: nie verläßt er den wirklichen Raum, dem sie entwachsen sind. Elementare Naturzustände treffen auf Zeichen der Zivilisation. Ackerflächen, Brachland, triste Wohnblocks, Strommaste, Neonlichter oder Lastkräne am Rheinufer gehören ebenso in seine Landschaften wie grenzenlose Himmel und verführerisch schöne Wolkenformationen. Bei allem Realismus ist diese Landschaftsmalerei aber viel mehr als die präzise Wiedergabe von Natur. Sie bildet nicht ab, sie bringt ein Bild hervor. Ein gemaltes Landschaftsbild, so wird deutlich, ist grundsätzlich etwas anderes als eine fotografische Momentaufnahme. Eine Fotografie ist das Abbild eines Augenblicks. Ein Gemälde hingegen ist ein Bild aus zahllosen Bildern, eine Zusammenfassung unterschiedlichster Eindrücke, Stimmungen und Zeiträume. Eine gemalte Landschaftsdarstellung ist ein gefrorener Augenblick, in dem eine unsichtbare Hand den ziehenden Wolken Einhalt gebietet und die Zeit stillstehen läßt. Alles wird in einem einzigen Bild zusammengefasst: Eine Jahreszeit, eine Wetterlage, ein Himmel, der niemals auch nur für zwei Momente der gleiche ist.
Cézanne hat gesagt: „Die Natur ist immer dieselbe, aber von ihrer sichtbaren Erscheinung bleibt nichts bestehen. Unsere Kunst muß ihr das Erhabene der Dauer geben, mit den Elementen und der Erscheinung all ihrer Veränderungen.“ Demnach übersetzt das Bild die Vergänglichkeit in Dauer. Auf dieser Bruchlinie zwischen der Zeitlosigkeit und der Zeit ist auch in den Landschaften von Jürgen Schmitz alles genau beobachtet; nichts ist hinzugefügt, weggelassen oder erfunden. Mit nahezu fotografischer Genauigkeit werden die Details wiedergegeben. Zugleich sind es arrangierte Bilder, präzise komponiert, aus zahllosen Wahrnehmungen in einem einzigen künstlichen Raum verdichtet.
Diese Landschaften bieten ein Übermaß an Wirklichkeit, und zugleich zielen sie ins Unbegrenzte, Unendliche. Was hier stattfindet, ist die Verwandlung einer täglich vertrauten Umgebung in das Kraftfeld eines Bildes. Das Gewohnte, heimatlich Vertraute, das wir in der Landschaft wiedererkennen, wird konfrontiert mit einer fremden, abstrakten Bildordnung. Das Alltägliche wird undurchschaubar, die Realität rätselhaft, eingebettet in einen unbekannten Zusammenhang.
Nur im Bild, wo aus einer bewohnten Landschaft eine betrachtete wird, kann dieser Transformationsprozeß erfolgen. Zur Komposition aus Wolken, Feldern, Bäumen, Straßen tritt eine weitere Landschaft hinzu – die Landschaft unseres Bewußtseins. So entsteht nicht nur das Bild einer Landschaft, sondern auch ein Porträt unserer selbst. Wir selber werden zum Thema der Landschaft. Sie spiegelt uns wieder. Die Landschaft liegt plötzlich nicht nur vor uns, sondern auch in uns; wir blicken auf die Landschaft und blicken in uns hinein – wir erfahren den unendlichen, grenzenlosen Raum unserer eigenen Vorstellungskraft. Caspar David Friedrich hat gesagt: „Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.“

So sind auch die Landschaften von Jürgen Schmitz eine Aufforderung zur Hingabe, zum Unterwegssein – unterwegs zu Wolken und Wirklichkeit, hin zur unauflösbaren Distanz zwischen unseren sehnsüchtigen Blicken und der Welt, die ihre Fremdheit dennoch bewahrt.

Klaus Wittkamp, 2005